Alternativmethoden
An der Universität Bern entwickeln Forschende seit langem und erfolgreich tierversuchsfreie Methoden und Modelle.

Computersimulationen und künstlich gezüchtete Organe
Sowohl in-silico wie in-vitro-Methoden haben sich bereits in zahlreichen Bereichen durchgesetzt. Mit Hilfe von in-silico-Methoden visualisieren Forschende zum Beispiel Prozesse oder Mechanismen im Körper mit Hilfe einer Computersimulation. Sogenannte in-vitro-Methoden umfassen Untersuchungen an künstlich gezüchteten Zellen, Gewebe oder Organen. Forscherinnen und Forscher dürfen Versuche am lebenden Tier, also in vivo, nur dann durchführen, wenn keine dieser Alternativmethoden als gleichwertigen Ersatz zur Verfügung stehen.
Tierversuche und Ersatzmethoden ergänzen sich
Die meisten Forschenden sind allerdings auf verschiedene Verfahren angewiesen: Sie forschen also nicht ausschliesslich an Tieren oder ausschliesslich mit tierversuchsfreien Methoden. Die Ansätze ergänzen sich und sind eng miteinander verbunden: So müssen etwa nach einem erfolgreichen in-vitro-Test zusätzliche in-vivo-Untersuchungen durchgeführt werden, um die aus den ersten Versuchen abgeleiteten Hypothesen zu überprüfen. Denn was im stark reduzierten Modell einer Zellkultur funktioniert, lässt sich nicht immer in einen komplexen lebenden Organismus übertragen. Trotz grosser Fortschritte bei Alternativmethoden wird es deshalb weiterhin Tierversuche brauchen.
Alternativmethoden zu Tierversuchen
Lunge-auf-Chip in der Fibrose-Forschung

Olivier Guenat des ARTORG Center und Thomas Geiser von der Universitätsklinik für Pneumologie züchten menschliche Lungenzellen auf einem sogenannten «Organ-on-a-Chip», einer neuen Generation von In-vitro-Modell. Dieses neue Modell zur Untersuchung der idiopathischen Lungenfibrose (IPF), einer tödlichen Lungenerkrankung, soll Untersuchungen an lebenden Mäusen ersetzen, da deren Ergebnisse die Reaktion der menschlichen Lunge auf die Erkrankung und deren Behandlungsoptionen nicht gut widerspiegeln. Um Therapien gegen die Krankheit zu entwickeln und zu testen, verursachen Forschende heute durch Verabreichung gewisser Substanzen in den Lungen von Mäusen Entzündungen und Fibrosen. Die Lunge-auf-Chip-Technologie verwendet Zellen von Patientinnen und Patienten, die auf einem Mikrochip kultiviert werden. Dadurch können die Forschenden relevante klinische Informationen über den fibrotischen Prozess im Menschen generieren und untersuchen. Dies soll es Forscherinnen und Klinikern ermöglichen, experimentelle Lungen-Medikamente zu testen und bestehende Behandlungen so zu optimieren, dass sie besser auf den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin zugeschnitten sind.
Modell für Medikamenten-Screening

Christiane Albrecht vom Institute of Biochemistry and Molecular Medicine (IBMM) der Universität Bern zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Karls-Universität in der Tschechischen Republik und der Firma Curio Biotech SA entwickeln ein zellbasiertes Modell, um zu untersuchen ob gewisse Medikamente, die eine Mutter während der Schwangerschaft einnimmt, ihr ungeborenes Kind erreichen und eventuell schädigen könnten. Bei den derzeit angewandten Ansätzen für das Medikamenten-Screening werden mehrere hundert Tiere pro Medikament eingesetzt, um potenziell toxische Auswirkungen auf den sich entwickelnden Fötus zu untersuchen. Die Forschenden schaffen nun aus Zellen, die direkt aus der Plazenta und der Nabelschnurvene gewonnen werden, ein dreidimensionales Zellkultursystem. Mit dieser neuen Methode soll man künftig kostengünstig, schnell und sicher prüfen können, ob neue Medikamente den Fötus erreichen und toxische Auswirkungen auf das ungeborene Kind haben können.
Organoide für Krebsforschung

Marianna Kruithof-de Julio und Mark Rubin am Department for BioMedical Research (DBMR) untersuchen mit Hilfe von sogenannten Organoiden wie Tumore wachsen, auf Medikamente ansprechen und Resistenzen gegen Therapien bilden. Organoide sind Mikrostrukturen, die aus dem Gewebe von Patienten gewonnen werden, die an Blasen- und Prostatakrebs erkrankt sind. Die Forschenden wollen die Verfahren optimieren und standardisieren, mit denen zuverlässig patienteneigene Organoide erzeugt werden können. Diese Therapieresistenz und die Unterschiede zwischen den Patienten können mit herkömmlichen Zelllinien und Tiermodellen nicht problemlos nachgeahmt werden. Die Organoid-Gruppe der Universität Bern wird stabile patienteneigene Organoide erzeugen, die den Forschenden in einer Biobank zugänglich gemacht werden und ihnen helfen sollen, neue Behandlungsansätze gegen Krebs zu entwickeln. Damit trägt die Forschung dazu bei, eine der grössten Hürden in der Krebstherapie zu überwinden und gleichzeitig Tierversuche in diesem Bereich zu ersetzen.
Covid-Zellkultur-Modell

Ronald Dijkman vom Institut für Infektionskrankheiten erhielt den 3Rs Award 2020 des Swiss 3RCC für sein Modell für Infektionskrankheiten der Atemwege, welches auch für Covid-19 angewendet werden kann. Dijkman und sein Team sammeln menschliche Zellen, die die Atemwege auskleiden, und kultivieren diese Zellen in einer Petrischale. Sie führen Studien an diesen In-vitro-Zellkulturen durch, um besser zu verstehen, wie Viren, wie SARS-CoV-2, mit den Zellen, Geweben und Organen interagieren. Mit seinem Modell kann Dijkman bestimmte Experimente ersetzen, für die sonst Tiere notwendig gewesen wären. Sein Ansatz kann auch angewendet werden, um die Interaktionen von Viren in den Atemwegen verschiedener Haus- und Wildtiere zu untersuchen, was das Potenzial hat, die Tiergesundheit zu verbessern und den Bedarf an In-vivo-Experimenten weiter zu reduzieren.
Fischgesundheit überwachen, ohne Tiere zu töten

Heike Schmidt-Posthaus, Moritz Stelzer und Irene Adrian-Kalchhauser vom Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin wollen in einem vom Swiss 3RCC geförderten Projekt eine Alternative zu einer tödlichen Methode zur Überwachung der Fischgesundheit entwickeln. Tausende von Forellen wurden seit 2000 geopfert, um festzustellen, ob sie mit einer parasitären Krankheit infiziert sind. Die Forschenden wollen nun eine tierversuchsfreie Methode etablieren, mit der DNA von Krankheitserregern in Wasserproben nachgewiesen werden kann.